Donnerstag, 13. Juni 2013

Modeopfer und ihre Sünden

Neulich, als ich durch den örtlichen H&M schlenderte, machte ich eine ganz und gar grauslige, ja schon fast obskure Entdeckung. Nicht etwa, dass H&M nun eine tier- und menschenfreundliche Prozesskette aufgebaut hätte, nein: Man verkauft dort jetzt Symbole der Rebellion und der Revolution - gedankenlos und hirnrissig - an etwaige Hipster und Modeopfer.
Wovon ich spreche? Voilà!


Wie kann ein durch und durch kapitalistischer Laden wie H&M solche Shirts verkaufen? Und warum gibt es tatsächlich zig Kunden, die solche Shirts dann auch beziehen?

Shirt 1: Die Zunge
Die meisten, das muss wohl eingestanden werden, haben keine Ahnung, was diese lasziv ausgestreckte Zunge bedeutet. Die meisten werden wohl das Gefühl haben, dass diese durch Beyoncé oder Kanye West, oder, noch schlimmer!, Avril Lavigne designt wurde.
Sie scheint ein schickes Accessoire, passend zur heutigen Zeit, wo Emanzipation infolge der übermässigen Sexualisierung der (jungen) Gesellschaft einen Dämpfer erleidet.
Doch: Diese Zunge wurde von keinem obgenannten Subjekt designt, noch ist sie das Machwerk der Kleider-Kette H&M. Denn das Symbol auf dem Shirt heisst "Tongue and Lips" und ist schon lange das Bandlogo der Rolling Stones. Dieses Logo wurde nicht, wie viele meinen, von Andy Warhol, sondern von John Pasche kreiert und ziert seit 1971 sämtliche Covers der Platten der Rolling Stones. Dies auch, weil es ebenfalls das Logo der hauseigenen Plattenfirma "Rolling Stones Records" ist.
Ob sich Mick Jagger, Keith Richards und Co. hiermit anfreunden könnten? Wohl eher ja. Schliesslich sind gerade die letzten Jahrzente in der absoluten Vermarktung der Rolling Stones untergegangen. Dennoch: Darf man ein Shirt und ein Symbol tragen, von dem man keine Ahnung hat, von wo es ist und was es bedeutet?
Glaubt man der Interpretation Mick Jagger's, bedeutet die Zunge für die Rolling Stones Kampf gegen das Establishment, sexuelle Befreiung, Entabuisierung diverser weiterer Themen wie Geschlechtskrankheiten, Homosexualität und dergleichen. Und nun wird ausgerechnet dieses Logo im H&M verkauft. Paradox.

Shirt 2: Ramones
Nein, Ramones sind keine Jung-Designer aus dem hippen New York oder gar aus Paris und nein, sie sind auch keine Soap-Stars à la Jersey Shore aus den USA: The Ramones sind eine Ur-Punkband aus den Staaten, die mit Songs wie "Blitzkrieg Bop" oder "The KKK Took My Baby Away" in den 70er und 80er sowie sogar bis Mitte der 90er für viel Aufsehen sorgten. Zusammen mit den Sex Pistols oder The Clash gelten sie als die Ur-Väter und somit Gründer des Punk-Rocks.
Sie waren gegen den Kapitalismus, aber auch gegen den Kommunismus (sondern eher für eine Mischform), gegen den Konsumwahn, gegen Geld- und Machtgier. Sie kritisierten die Akzeptanz von rechter Gewalt innerhalb des Staates, prangerten die politischen und wirtschaftlichen Exzesse an.
Ein Beispiel:

Hey ho, los geht's
Sie bilden eine strenge Linie
Sie gehen durch starken Wind
Die Kids verlieren ihren Verstand
Der Blitzkrieg Bop

Sie häufen sich auf dem Platz
Sie erzeugen heißen Dampf
Pulsieren auf den Rückschlag
Der Blitzkrieg Bop

Hey ho, los geht's
Schieß sie jetzt ab
Was sie wollen, weiß ich nicht
Sie heulen auf und los geht's

Sie bilden eine strenge Linie
Sie gehen durch starken Wind
Die Kids verlieren ihren Verstand
Der Blitzkrieg Bop

Sie häufen sich auf dem Platz
Sie erzeugen heißen Dampf
Pulsieren auf den Rückschlag
Der Blitzkrieg Bop

Hey ho, los geht's
Schieß sie jetzt ab
Was sie wollen, weiß ich nicht
Sie heulen auf und los geht's

Hey ho, los geht's

Es ist doch also absonderbar, wenn Menschen Shirts kaufen, von denen sie keine Ahnung haben, was sie bedeuten. Noch absonderbarer und abstruser ist es, wenn diese Shirts per se gegen jene Dinge sind, für die sie nun verkauft werden: Konsum, Geld, Macht, Gier.
Mein Appell an die primär jungen Käufer dieser Shirts ist:
Überlegt euch jedes mal beim Einkaufen von Kleidern, was ihr kauft, was darauf zu sehen ist, für was dies steht und für was ihr, verdammt nochmal!, steht!
Denn ich verspreche euch: Die nächste Tusse, die ich anspreche und die nicht weiss, dass sie gerade ein Rolling Stones- oder Ramones-Shirt trägt; der reisse ich ihr T-Shirt gleich mal runter.

Danke.

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