Donnerstag, 7. November 2013

Die dunkle Seite der NATO

Der Schweizer Historiker und Autor Daniele Ganser hat mit seiner Doktorarbeit NATO: Geheimarmeen in Europa (Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung) einen wunden Punkt der transatlantischen Organisationen getroffen. Die Arbeit, die auch als Buch erhältlich ist, zeigt auf, wie die NATO zusammen mit den grossen westlichen Geheimdiensten CIA und MI6 die Welt vor dem Kommunismus bewahren wollte - mit zum Teil höchst fragwürdigen Mitteln.
Kurz nach Ende des 2. Weltkriegs wurde die Arbeit des damaligen amerikanischen Geheimdienst zu Kriegszeiten (OSS) eingestellt. Nach dem Sieg über die Achsenmächte schien es keinen politisch gefährlichen Gegner auf der Welt mehr zu geben.
Mit dem weltweiten Erstarken des Kommunismus jedoch, den die imperialistischen Amerikaner als "Feind der freien Welt" betitelten, änderte sich dies. Aus diesem Grund wurde die CIA gegründet - der später zum wohl mächtigsten und dubiosesten Geheimdienst der Welt avancierte.
Dass sich der CIA nicht nur auf die Eliminierung von sozialistischen Präsidenten oder auf die verdeckte, subversive Kriegsführung spezialisierte, legt Daniele Ganser in seiner Doktorarbeit offen.
Der geheime Krieg gegen den Kommunismus fand vor unserer Haustüre statt - sogar in der Schweiz.

Das Buch behandelt dabei den Skandal der "Gladio-Operation". Zu Beginn des Jahres 1990 legte der damalige italienische Ministerpräsident Andreotti offen, dass kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs und bis in die frühen 90er-Jahren in Italien und anderen europäischen Ländern eine "Parallel-Regierung", eine verdeckte Armee, bestand, die zum Ziel hatte, bei einer sowjetischen Invasion den Gegner hinter den feindlichen Linien zu attackieren und den kapitalistischen Ländern, allen voran Grossbritannien und den USA, Informationen zu liefern. Allerdings beschränkten sich diese Gladio-Einheiten nicht nur darauf, sich für eine mögliche Invasion der UdSSR vorzubereiten, sondern sie denunzierten Tatkräftig viele kommunistische und sozialistische Parteimitglieder; ja töteten diese gar oder verübten terroristische Anschläge, um diese dann den Linken in die Schuhe zu schieben.

Ganser zeigt in seinem Buch auf, dass die Gladio-Einheiten unter Führung der CIA und der britischen Spezialeinheit SAS etwa den rechtsgerichteten Putsch 1967 in Griechenland unterstützen, dass sie zudem in die Ermordung des damaligen italienischen Ministers Aldo Moro (1978) involviert waren oder dass unendlich viele Daten über linke Politiker angesammelt wurden, um diese dann erpressen oder verleumden zu können. Auch unzählige terroristische Anschläge, die dann kommunistischen Parteien und Organisationen in die Schuhe geschoben wurden, verübten diese "Schattenarmeen", etwa in Deutschland, Belgien, Norwegen, Dänemark, Italien, Griechenland, den Niederlanden oder der Türkei. Einige Beispiele hierfür sind das Attentat auf 5 Carabinieri 1972 in Italien, von denen 3 starben. Nachdem in einer ersten Instanz die kommunistische Organisation "Rote Brigaden" beschuldigt wurde, entdeckte der damalige Richter Felice Casson 1984, dass der für den Anschlag verwendete Sprengstoff von der NATO stammte und dass hinter dem Anschlag Neo-Faschisten steckten, die im Folgenden von ranghohen Mitgliedern des italienischen Geheimdienstes SIFAR gedeckt und die unter Mithilfe der NATO ausser Landes geschafft wurden. Auch eine Anschlagsserie in Belgien von 1982 bis 1985 fusste auf der Arbeit von Gladio. Dabei kamen 28 Menschen ums Leben. Die Täter wurden weder identifiziert noch gefasst.
Der ehemalige Gladio-Mitarbeiter und Faschist Vincenzo Vinciguerra sagte vor dem italienischen Senat 1990 hierzu 1990 aus:
Man musste Zivilisten angreifen, Männer, Frauen, Kinder, unschuldige Menschen, unbekannte Menschen, die weit weg vom politischen Spiel waren. Der Grund dafür war einfach. Die Anschläge sollten das italienische Volk dazu bringen, den Staat um größere Sicherheit zu bitten. […] Diese politische Logik liegt all den Massakern und Terroranschlägen zu Grunde, welche ohne richterliches Urteil bleiben, weil der Staat sich ja nicht selber verurteilen kann.

Desweiteren wurden von den Amerikanern und Briten effektiv Wahlen manipuliert oder beeinflusst - und somit die Souveränität von zig Staaten und deren Völker untergraben oder gar ignoriert.
Selbst neutrale Staaten wie Schweden oder die Schweiz waren davon betroffen. In der Schweiz wurde die "Operation Gladio" etwa bekannt als "Fichen-Affäre" oder als "Geheimarmee P26".
Eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK), die sich mit dem Fall beschäftigte, konnte jedoch nicht lückenlos klären, in welcher Verbindung die P26 mit Gladio bzw. der NATO stand.
Dies hatte zweierlei Gründe:
1. Wurden viele wichtige Dokumente von unbekannten Personen vernichtet und
2. Wurde der Hauptzeuge Herbert Alboth, früherer Leiter der Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr (UNA), Stunden vor seiner Aussage in seiner Wohnung tot aufgefunden. Alboth hatte zuvor angekündigt, dem Parlament die "ganze Wahrheit" über P26 zu erzählen. Ein Täter wurde nie gefasst.

In seinem Buch zeigt Ganser auf, dass sämtliche Aktivitäten von der NATO unter Federführung von CIA und MI6 koordiniert wurden. Dass der Skandal dabei nur oberflächlich behandelt worden ist, liegt daran, dass weder die NATO noch die CIA oder der MI6 ihre Beteiligung bestätigt haben - die Geheimdienste hüllen sich bis heute in Schweigen.
Dennoch gelingt es Ganser, die Geschehnisse und Vorfälle zu rekonstruieren und aufzuzeigen. Dies dank Aussagen von ehemaligen CIA- und SAS-Mitarbeitenden, von Soldaten der Gladio-Armeen, von Politikern sowie von aufgetauchten Dokumenten.

Aussagen wie jene des Richters Felice Casson, der für den italienischen Senat in der Gladio-Affäre ermittelte, sind dabei äusserst beängstigend: "Nach Abschluss meiner Arbeit konnte ich feststellen, dass die Italienische Republik nach dem 2. Weltkrieg bis zu Beginn der 90er-Jahre nur ein Marionetten-Staat war; dass dem Volk Demokratie vorgegaukelt wurde."

Das Buch liest sich nicht einfach, da Ganser viele Daten und Fakten präsentiert und auf zig Dokumente Bezug nimmt. Dennoch ist die Lektüre höchst interessant und brisant. Die Vorstellung, dass eine Parallelregierung die eigentliche Macht inne hatte und die vom Souverän gewählten Minister nur Marionetten waren, ist obskur, aber scheinbar real.
Man kann abschliessend nur hoffen, dass die Zeit der Einflussnahme durch Geheimdienste wie die CIA beendet ist - wissen kann man dies aber nie.

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